Diebe und Vampire by Dörrie Doris

Diebe und Vampire by Dörrie Doris

Autor:Dörrie, Doris [Dörrie, Doris]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 978325760452
Herausgeber: Diogenes
veröffentlicht: 2015-05-19T16:00:00+00:00


[145] III

[147] Dir habe ich nie von der Meisterin erzählt. Seltsam, in fünfzehn Jahren nicht. Wenigstens ein kleines Geheimnis, das ich vor dir bewahrt habe.

Als ich meine Kisten packte, um aus unserer gemeinsamen Wohnung auszuziehen, fiel mir das Buch mit der Widmung der Meisterin in die Hände: For Alice, fellow thief and vampire. Von ihrem Tod habe ich erst sehr spät erfahren. Sie hatte mir in ihrem letzten Brief von einer schweren Krankheit berichtet, aber ich war so abgelenkt von meiner noch jungen Liebe zu dir, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass es ein letzter Brief sein konnte. Ich habe nicht darauf geantwortet, auch weil ich ihr mein Scheitern nicht eingestehen wollte. Schriftstellerin war ich nämlich immer noch nicht geworden, und danach fragte sie in jedem Brief.

Als ihre Briefe ausblieben, kam mir nicht in den Sinn, dass sie vielleicht nicht mehr am Leben sein könnte. Der Kontakt riss ab, ich dachte nur noch selten an sie, bis ich auf dem Klappentext einer [148] neuen Ausgabe mit Kurzgeschichten ihr Todesdatum fand. Das Foto war gleich geblieben. Sie lächelte ein wenig spöttisch, ihre Haare so schiefergrau wie die Katze auf ihrem Arm. Sie war knapp siebzig geworden, was mir damals alt erschienen wäre und jetzt nicht mehr, denn jetzt bin ich fast so alt wie die Meisterin, als wir uns kennenlernten. Sie kam mir damals alterslos vor, so elegant und selbstsicher. Ich sehe sie vor mir, wie sie die Treppen vom Strand zum Hotel hinaufschritt, in einem schwarzen Badeanzug, ein weißes Tuch um den Kopf, eine Sonnenbrille. Wie ein Star. Ich fahre wieder nach Mexiko. Die Einladung der Universität von Mexico City habe ich angenommen, weil ich mich an mich selbst erinnern wollte. Und an die Meisterin. Weil ich plötzlich wieder allein war und Haltung brauchte. Sie hatte Haltung. Oder etwas, was ich dafür hielt. Nichts ist mehr sicher, wenn man älter wird.

Nehmen Sie auf keinen Fall ein Taxi auf der Straße, sondern buchen Sie es am Flughafen, Schalter rechts gleich am Ausgang. In der letzten Zeit hat es wieder Blitzentführungen gegeben. Tragen Sie keinen auffälligen Schmuck oder eine teure Uhr. Halten Sie Ihr Telefon, wenn Sie damit fotografieren, mit beiden Händen fest. Gehen Sie abends nicht allein auf die Straße. Wenden Sie sich nicht an Polizisten – sie könnten Sie bedrohen und ausrauben.

[149] Professor Kiepert, Leiter der Germanistischen Fakultät, hatte mir diese Warnungen gleich zwei Mal geschickt, so wie er alle Mails zwei Mal schickte. Dann rief er auch noch an und hinterließ die beunruhigende Nachricht, ich solle mir auf gar keinen Fall Sorgen machen! Wirklich nicht! Es sei gar nicht so gefährlich, wie es in seiner Mail vielleicht geklungen habe.

Wären wir noch zusammen gewesen, hättest du mich nicht fahren lassen. Oder du hättest mir Kieperts Ratschläge ausgedruckt, den Zettel in meine Handtasche gestopft, mir am liebsten noch ein Heiligenbildchen in den Mantel genäht. Du warst der Fürsorgliche von uns beiden.

Es war anstrengend, wieder allein zu sein. Aus Gewohnheit wandte ich mich in Gedanken immer noch ständig an dich. Ich



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